«Bruno Manser war eine Art Öko-Edward-Snowden»

Zusammen mit den Indigenen kämpfte der Schweizer Bruno Manser in Malaysia gegen die Abholzung des Urwaldes. Im Jahr 2000 verschwand er spurlos. War er naiv oder visionär? Der Film «The Borneo Case» zeigt, was aus dem Erbe von Manser geworden ist, und Lukas Straumann, Geschäftsleiter des Bruno-Manser-Fonds, erläutert, warum Manser die Menschen gerade heute wieder fasziniert.

Von Philipp Löpfe, watson.ch, 20. April 2017

Wer war Bruno Manser und weshalb ist er heute noch wichtig?
Ich habe kürzlich in Bern zwei Plakate nebeneinander gesehen. Auf dem einen war Bruno Manser, daneben Edward Snowden. Ein junger Mensch hat dies so inszeniert. Wahrscheinlich will er uns damit sagen: Manser war ein Held.

Eine Art Öko-Snowden?
Ja. Wie Snowden ist Manser für etwas eingestanden – und zwar bedingungslos. Bis zum Punkt, wo er sein eigenes Leben aufs Spiel gesetzt hat. 25 Jahre später muss man auch sagen: Manser war visionär, auch wenn er versucht hat, etwas aufzuhalten, was man nicht aufhalten konnte.Er wollte den Urwald in Sarawak, einem Grenzgebiet zwischen Malaysia und Borneo, vor dem Kahlschlag retten. Manser ist 1954 auf die Welt gekommen und hatte in den 70er Jahren eine klassische Aussteiger Biographie. Er hat sich immer stark für die Natur interessiert. Dann begann er ein Studium, brachte es jedoch ab und ging auf die Alp. Seine Lebensphilosophie lautete: Man macht alles selbst. 1984 reiste er nach Borneo, weil er gelesen hatte, dass es dort ein Volk gab, das noch ohne Geld lebte. Das war sein Traum, er wollte stets mit einem Volk leben, das «nahe am Ursprung der Menschheit» war, wie er sich ausdrückte.

«Bruno Manser hat das Nomaden-Leben als paradiesisch empfunden.»

Eine sehr idealistische Vorstellung.
Allerdings. Für Manser gab es den «edlen Wilden» im Sinne von Rousseau tatsächlich. Der «Wilde» war den zivilisierten Menschen überlegen – auch moralisch. In Sarawak hat er die Penan gefunden, ein Nomadenvolk, das im Urwald lebte und das in seinen Augen noch sehr «wild» war.

Wie haben die Eingeborenen reagiert?
Sie waren zunächst überrascht, aber später wurde er von einer Familie aufgenommen. Er hat das Nomaden-Leben als paradiesisch empfunden. Dieses Paradies wurde jedoch Mitte der 80er Jahre bedroht. Die Holzindustrie fuhr ein, und zwar im grossen Stil.

Und hat in den vergangenen 30 Jahren Urwald auf einer Fläche zerstört, die so gross ist wie England, wie es in Ihrem Film heisst.
Die zuständige Holzfirma war der grösste Kunde von Caterpillar. Sarawak war bis 2014 der grösste Exporteur von Tropenholz. Wir haben ausgerechnet, dass Holz im Wert von rund 50 Milliarden Dollar geschlagen wurde. Natürlich hatte Manser keine Chance gegen diese geballte Macht. Andererseits war er jedoch auch sehr erfolgreich, weil er bei den Indigenen sehr viel auslösen konnte.

War er bei den Penan beliebt?
Und wie! Er ist bis heute ein Held und hat Eingang in ihre Mythologie gefunden. Sie nennen ihn «lakei penan», zu deutsch «Penan-Mann». Jetzt beginnt sein Kampf gegen die Holzfäller auch Früchte zu tragen. Im Mai kommt eine Penan-Delegation in die Schweiz. Es geht darum, dass ein Teil des Urwaldes, der noch nicht zerstört ist, in ein Naturschutzgebiet verwandelt wird. Das bedeutet nicht, dass die Penan alles von Manser kritiklos übernehmen. Sie sind heute keine Nomaden mehr und wollen auf ihre Art und Weise ebenfalls an Entwicklung und Wohlstand teilnehmen.

Im Mai 2000 ist Manser spurlos verschwunden. Weiss man heute mehr darüber?
Die Regierung von Malaysia bezeichnete Manser als einen ungebetenen Eindringling, der damalige Ministerpräsident Mahatir schrieb sogar einen Schmähbrief gegen ihn. Was auf seiner letzten Reise passiert ist, weiss niemand. Manser gilt seither offiziell als verschollen.

«Innerhalb einer Generation wurde ein Ökosystem zerstört, das während Jahrtausenden entstanden war.»


Man kann Manser als Held sehen. Seine Kritiker würden sagen: Er hat die Penan missbraucht, um sich seinen eigenen Traum zu erfüllen.
Nicht nur Manser, die gesamte Öko-Bewegung wird oft auf diese Weise diskreditiert. In den 1990er-Jahren warf Malaysias Regierung sogar Neo-Kolonialismus vor. Sie hat sehr geschickt auf die Kritik gegen das Holzfällen geantwortet und den Industrieländern gesagt: Schützt doch zuerst Eure eigenen Wälder. Interessanterweise hat sich die Stimmung in Malaysia in den vergangenen 25 Jahren stark verändert. Heute sagen viele: Bruno Manser hatte Recht, wir hätten damals die Zerstörung des Urwaldes stoppen sollen.

Die Bilder dieser Wälder sind tatsächlich unglaublich schön.
Es wurde ein Welterbe kaputt gemacht. Innerhalb einer Generation wurde ein Ökosystem zerstört, das während Jahrtausenden entstanden war. Die Rechte der indigenen Bevölkerung wurden dabei systematisch missachtet. Heute weiss man, dass diese Menschen die besten Garanten dafür sind, dass Wälder nachhaltig genutzt werden.

Ist das nicht eine Spur zu idealistisch?
Natürlich gibt es auch Indigene, welche Raubbau an der Natur betreiben. Selbst Manser hat sich geärgert, wenn die Penan auf der Jagd zu viele Wildschweine erlegt haben. Es ist stets eine Gratwanderung, wie weit man sich als Aussenstehender da einmischen soll und darf. Wir Schweizer haben diesbezüglich eine lange Tradition. Ohne die Alpgemeinschaften wäre die Natur in unseren Bergen nicht so gut erhalten. Doch unsere Bergbauern haben Selbstbestimmungsrechte, die Penan nicht. Deshalb konnten die Holzfällerfirmen im Verbund mit korrupten Politikern zuschlagen.

Der langjährige Ministerpräsident von Sarawak, Taib Mahmud, ist heute Milliardär. Sie sind seinen dubiosen Geschäften nachgegangen.
Wir haben 400 Unternehmen in 25 Ländern gefunden, die von der Familie Taib kontrolliert werden. Wir versuchen, strafrechtliche Verfahren gegen sie in die Wege zu leiten.Der aktuelle Premierminister von Malaysia steckt ebenfalls tief in einer Korruptionsaffäre.Er hat rund sieben Milliarden Dollar ergaunert. Leider ist wieder einmal ein grosser Teil dieses Geldes über die Schweiz geflossen. Die Bankenaufsicht Finma hat deswegen die Bank BSI schliessen lassen. Bei Taib hat vor allem die Deutsche Bank eine sehr unrühmliche Rolle gespielt.

«The Borneo Case, Bruno Manser lebt weiter», so heisst ein Dokumentarfilm, der am 11. Mai in ausgewählte Kinos kommt. Er zeigt erstmals, wie Mansers Kampf für den Regenwald und seine Bevölkerung weiterentwickelt und umgesetzt wurde. Mit dabei sind unter anderem Mansers ehemaliger Freund und Mitstreiter Mutang Urud und die Investigativ-Journalistin Clare Rewcastle.


Trotz diesen misslichen Zuständen will der Bruno-Manser-Fonds retten, was noch nicht zerstört wurde. Wie stehen die Chancen?
Nicht schlecht. Im Mai kommt erstmals eine Regierungsdelegation aus Sarawak in die Schweiz. Wir werden mit ihnen zusammen das Staatssekretariat für Wirtschaft Seco in Bern besuchen. Das Ziel ist es, den Oberlauf des Flusses Baram unter Schutz zu stellen. Das ist ein Gebiet so gross wie der Kanton Tessin. Nicht zuletzt wegen Bruno Manser gibt es dort heute noch einen Urwald. So gesehen sind wir heute daran, seinen Traum zu verwirklichen.

Rechnet sich dieser Traum auch wirtschaftlich?
Wir setzen auf nachhaltigen Tourismus und natürlich auch auf Produkte aus dem Urwald, die man ernten kann, ohne ihn zu zerstören. Die Grundlage bleibt jedoch die Subsistenzwirtschaft, also der Anbau von Reis und anderem Gemüse. Dazu kommt Geld von jungen Penan, die in der Stadt wohnen und Geld nach Hause schicken.

«Edle Wilde» im Sinne von Manser, Nomaden, die nur von den Früchten des Urwaldes leben, gehören somit der Vergangenheit an?
Die Nomaden sind heute alle sesshaft geworden und leben in einem Dorf. Sie haben jedoch viele Traditionen aufrecht erhalten können, sie sind Halb-Nomaden geworden. Dort wo der Urwald noch intakt ist, können sie fast ohne Geld leben. Es ist nach wie vor ein faszinierendes Leben.

Dieses fantastische Leben ist nur noch Wenigen vorbehalten. Ist Bruno nicht der falsche Held in einer Welt mit acht Milliarden Menschen?
Bräuchten wir nicht Helden, die uns sagen, wie wir unsere Städte grün machen können? Wir spüren sehr stark, wie Manser die Menschen wieder begeistert. Seine Art zu leben, seine Tagebücher – er war eine Art moderner Humboldt in einer Welt, die immer mehr von Technik beherrscht wird. Von den Penan können wir auch lernen, wie man mit der Natur lebt, ohne sie zu zerstören.

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